Was „Wohnprojekte-mit-Zukunft“ und GOOGLE verbindet

Eine sehr gewagte Behauptung, meinen Sie möglicherweise, weil zwischen einem deutschen Wohnprojekt und google doch Lichtjahre dazwischen liegen – beim „Vermögen“, der weltumspannenden Reichweite, dem „Geschäftsmodell“…! Auf den ersten Blick ganz sicher – und auf den zweiten? Bevor Sie die Verbindung erkennen, noch eine kurze Beschreibung eines gemeinschaftsorientierten Wohnens mit Zukunft, wie ich es sehe.

Was sind „Wohnprojekte mit Zukunft“? 

Zunächst einmal verwende ich die Begriffe „Wohnprojekte“, gemeinschaftliches Wohnen und Mehrgenerationen-Wohnen fast gleichbedeutend. Eine zugegeben fast unzulässige Vereinfachung, weil gerade das Merkmal des generationenübergreifenden Wohnens und Zusammenlebens bereits eines ist, das ich als zukunftsweisend einstufe – bei allem Respekt und Verständnis für „gemeinsam Wohnen im Alter“ oder „junge Familien unter sich“. Die Alternative lautet nicht „Gemeinsam oder einsam“, sondern lebendig, zugehörig und selbstwirksam sein können – von jung an bis ins hohe Alter!“ Wohnprojekte mit Zukunft zu entwickeln und umzusetzen, bedeutet für mich Antworten zu finden, die es mir als einzelner Person oder (Klein-)Familie besser als Teil einer größeren Gruppe erlaubt, mit den wachsenden Anforderungen und Unwägbarkeiten des Alltags besser zurecht zu kommen und noch einen sinnvollen Beitrag zu einem lebenswerten Gemeinwesen zu leisten. (Zur Dramatik der Herausforderungen finden Sie mehr Informationen in meinem Artikel „Wohnprojekte mit Zukunft – eine Investition in ein gelingendes Leben und ein Beitrag zur Gemeinwohl-Produktion?“)

bild1terasse Blick in den Innenbereich des großen Wohnprojekts EVA lanxmeer in Culemborg, Holland; Foto: P. Bauer

Wohnprojekte mit Zukunft

  • sie sind vielfältig, was die Menschen, ihre Lebenssituation, ihre Berufe, ihr Alter, Kultur und die Einkommens- und Vermögenssituation angeht
  • sie bieten Menschen Raum zum Wohnen, Arbeiten und einem guten sinnstiftenden Leben – ob mit hohem oder mit geringem Einkommen. bieten gute Nachbarschaft und wechselseitige Unterstützung in vielen Situationen des Alltags – nach Absprache und ohne Märtyrer/in einer Idee werden zu müssen.
  • sie schaffen auch bewusst Einkommensmöglichkeiten für Menschen bis ins hohe Alter, weil wir dies für immer mehr Menschen notwendig und sinnvoll ist.
  • sie sorgen für Lösungen im Kleinen, die wir längst im großen Stil bräuchten wie z.B. Pflegewohngemeinschaften mit Anschluss an Gemeinschaft, Kooperation mit nachhaltig arbeitender regionaler Landwirtschaft, das Teilen von Autos, Gemeinschaftsräumen und anderen sinnvollen Produkten/Werkzeugen usw. und nicht zuletzt
  • sie sorgen im wohlverstandenen Eigeninteresse dafür, dass die Fähigkeit zu guten gemeinschaftlichen Lösungen ebenso wächst wie die Bereitschaft und Fähigkeit zu Klartext, Konflikten und wertschätzendem Dialog.

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Der Cherbonhof in Bamberg – ein sozial und architektonisch sehr gelungenes Beispiel einer ökologischen Landschaftssiedlung. „Chef-Architekt“: Theodor Henzler (Foto: dito)

Alles Utopie – oder eine rentable Investition in mein eigenes Leben?

Wenn man meine Auflistung anschaut, könnte es wirklich nach ganz viel „Wünsch-dir-was“ klingen. Die hoffungsvolle Botschaft lautet jedoch: Davon gibt es schon ganz Vieles in real existierenden „Wohnprojekten mit Zukunft“! Zugegeben – es sind noch wenige. Die Notwendigkeit und Einsicht, in diese Richtung zu denken, wächst jedoch. Dazu genügt allein ein Blick auf die Probleme wie Demografie, Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Pflegesituation von Angehörigen etc.

Mindestgröße für ein „Wohnprojekt mit Zukunft“ notwendig

Die genannten Eigenschaften erfordern eine Mindestgröße an Mitmacher/innen und Wohnungen. Für mich liegt diese Mindestgröße bei etwa 30 – 50 Wohneinheiten und etwa 60-70 Erwachsenen unterschiedlichen Alters – und hoffentlich vielen Kinder und Jugendlichen. Eine „natürliche“ Obergrenze sehe ich bei etwa 200 bis 250 Personen je Projekt. Und warum sollte nicht ein neuer Stadtteil aus mehreren miteinander kooperierenden „Wohnprojekten“ bestehen?

Was verbindet nun ein zukunftsfähiges Wohnprojekt mit dem Internetgiganten google?

Die Zeitschrift „brandeins“ hat in ihrem Sonderheft „Innovation 2016“ auch den google-Innovationschef Frederik Pferdt interviewt (im Übrigen ein gebürtiger Oberschwabe, was schon qua Herkunft für Solidität bürgt). Seine 5 Kern-Zutaten für Neues und Kreatives lauten:

  • Vertrauen
  • Respekt
  • Nähe
  • Offenheit und
  • Transparenz

Darf es wirklich so einfach sein?

Offensichtlich kann es so einfach sein! UND wenn wir ehrlich um uns herum und in uns hineinblicken, sind diese 5 Eigenschaften erschreckend selten. Fragen Sie sich selbst und prüfen Sie als Anwendungsfall ihren Berufsalltag. Mit hoher Sicherheit braucht es noch ein paar weitere Zutaten zum Gelingen meiner „Wohnprojekte mit Zukunft“, die man vermutlich auch bei google wieder findet. Ein klares gemeinsames Bild über die erwünschte Zukunft im oder für das Wohnprojekt – und einen klaren und mutigen Blick auf die Gelingensbedingungen. Auf der Ebene der „Organisation“, des „Wohnprojekts als Lebens-Unternehmen“ helfen die wache Suche nach förderlichen Strukturen, nach guter Entscheidungsfindung und einem ausbalancierten Geben und Nehmen sicher enorm weiter.

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Das Gebäude „Vielfalt“ mit 19 WE ist eines von 7 sehr unterschiedlichen Gebäuden der Mehrgenerationen-Siedlung „Am Albgrün“ in Karlsruhe. Insgesamt 250 Menschen leben in diesem großstädtischen „Wohnprojekt mit Zukunft“.

Fragen und Lauschen anstelle fertiger Antworten

Statt unumstößlicher Antworten sind wohlwollende Fragen und der beharrliche Mut immer wieder zu experimentieren, nach meiner Erfahrung die besseren Leitplanken in einer fragilen Zeit.

Die Stärkung gemeinsamer Rechenschaft und das Einhalten von Vereinbarungen dürften auch zu den Zutaten gehören ohne die das Millionen-Investment einer „gemeinschaftlichen Mehrgenerationensiedlung“ kaum gelingen kann. Allerdings dient dieses Sich-Gemeinsam-Rechenschaft-Geben nicht dem „Grillen“ von Personen oder als Auftrag, Schuldige zu finden – wie es nicht zu selten in Organisationen vorkommt. Rechenschaft legen und geben ist Teil einer Lern- und Verantwortungskultur, die auf Transparenz, Offenheit und Selbstreflexion baut. Und auch dieses Innehalten stellt dann eine von vielen Gelegenheiten dar, das gemeinsam Erreichte bewusst zu würdigen und zu feiern

Die übergeordneten Rahmenbedingungen in den Blick nehmen und Veränderung einfordern

Auf der Ebene von Politik und Verwaltung sollte die Einsicht wachsen, dass „Ghettos“ für Arme, Reiche, Familien, für Junge und Alte nicht der Weisheit letzter Schluss einer zukunftsweisenden Stadtentwicklung sind. Die nahezu überall herrschende Praxis, Grundstücke zum Höchstpreis zu verkaufen ist ebenso kurzsichtig wie skandalös. Insbesondere, wenn so von Kommunen, dem Land oder auf Bundesebene verfahren wird (Beispiel Konversionsflächen). Leider gebärden sich die christlichen Kirchen hier nicht selten ähnlich kapitalistisch wie Bau- und Grundstücksspekulanten. Die grundgesetzliche Sozialverpflichtung des Eigentums steht ausgerechnet beim nicht-vermehrbaren Grund und Boden in der Praxis leider nur auf dem Papier. Ein letzter, wenn auch nicht abschließender Punkt:

Andere Planungs- und Entwicklungskonzepte müssen her

Etwas hart auf den Punkt gebracht – wir lassen Häuser und Wohnungen bauen, die in aller Regel Gemeinschaft verhindern anstatt zu fördern. Es entstehen in der Mehrzahl trostlose Neubaugebiete anstelle von Lebensentfaltungs- und Begegnungsräumen. Das Planen und Entwickeln auch ganz anders geht, habe ich hautnah beim Entstehen des Mehrgenerationenprojekts „Am Albgrün“ in Karlsruhe-Grünwinkel miterlebt. Dort haben in knapp 3 Tage über 100 Menschen die konzeptionellen und planerischen Grundlagen für ein Vorhaben mit über 100 Wohneinheiten gelegt. Es war das ganze „System“ im Raum – zukünftige Bewohner, Interessierte, Nachbarn, Politik, Stadtplanung und Fachämter, Stadtteilinitiativen sowie Experten (mehrere Architekturbüros, Landschaftsplaner und Energiefachleute).

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Eine von vielen intensiven „Planungsgruppen“ in der Werkstatt in Karlsruhe-Grünwinkel.

Unvorstellbar – das geht doch nicht oder zumindest nicht in unserer Stadt oder Gemeinde? Die klare Botschaft – es geht überall und es ist sehr gut machbar!

Der Schlusskreis der Planungswerkstatt in Karlsruhe-Grünwinkel

 Wohnprojekte und google – ein vorläufiges Fazit

So erstaunlich es klingt – die von Frederic Pferdt genannten Schlüsselqualitäten für google´s Innovations- und Umsetzungsstärke sind für mich auch zentrale Gelingensfaktoren für zukunftsweisende Wohnprojekte und gemeinschaftsorientiertes Wohnen-Leben-Arbeiten. Für mich gehört dazu untrennbar immer wieder der Blick über den eigenen Tellerrand, hier in den Stadtteil, die Gemeinde und die Region. Wohnprojekte mit Zukunft genügen nicht sich selbst, sondern sind ein lebendiger Raum für Austausch, Ausprobieren und Dazulernen, gelegentliches Scheitern inbegriffen.

Gibt es ein Leben vor dem Tod?

Ja, in Wohnprojekten mit Zukunft reicht es meist zu Energie für mehrere Leben.
Peter Bauer, Juni 2016

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